#Interview

“Unser heutiges Konzept war nicht von Anfang an so geplant”

specter automation, 2021 gegründet, möchte sich als "Standardlösung für modellbasiertes Bauen im DACH-Raum etablieren". Ursprünglich wollte das Team aus Köln Turmdrehkräne fernsteuern und automatisieren. Die Idee scheiterte aber krachend.
“Unser heutiges Konzept war nicht von Anfang an so geplant”
Donnerstag, 22. Mai 2025VonAlexander

Das Kölner ConTech specter automation, 2021 von Oliver Eischet, Max Gier, Niklas Beese, Moritz Cremer und Emanuel Groh gegründet, setzt auf die “Digitalisierung der Bauausführung durch 3D-Modell-basiertes Management”. Die cloudbasierte Software der Jungfirma “transformiert traditionelle Arbeitsabläufe in dynamische, Echtzeit-gestützte Planungs- und Koordinationsprozesse”.

Der Early-Stage-Investor Shilling (Portugal), Almaz Capital (USA), Pawao, superangels sowie die Altinvestoren TechVision Fonds (TVF), LBBW Venture Capital und xdeck investierten zuletzt 5 Millionen Euro in die Jungfirma. Zuvor flossen bereits 2,7 Millionen in das Unternehmen.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Gründer Eischet einmal ausführlich über den Stand der Dinge bei specter automation

Wie würdest Du Deiner Großmutter specter automation erklären?
Stell dir vor, Oma, auf einer Baustelle läuft nicht immer alles nach Plan – Termine  werden verpasst, es gibt Missverständnisse, und manchmal weiß die eine Hand nicht, was die andere tut. Mit unserer Software sorgen wir dafür, dass alle  Beteiligten ein gemeinsames, digitales Bild vom Bauprojekt haben – als 3D-Modell.Das heißt das, was draußen gebaut wird, sieht man auf dem Computer und kann  auch Elemente wie Wände, Decken oder Fenster anklicken, um Informationen zu  erhalten. So kann jeder genau sehen, was wann wo passieren muss. Das spart Zeit, verhindert Fehler und sorgt für ein reibungsloseres und schnelleres Arbeiten auf  der Baustelle. 

War dies von Anfang an Euer Konzept?
Ganz klar: Unser heutiges Konzept war nicht von Anfang an so geplant. Ursprünglich wollten wir Turmdrehkräne fernsteuern und automatisieren – eine Idee, mit der wir 2020 allerdings krachend gescheitert sind. Wir haben damals gelernt, dass sich Technologien aus den anderen Industrien – in dem Fall der Automobilindustrie – nicht einfach 1:1 auf die Baustelle übertragen lassen. Also haben wir einen radikalen Kurswechsel gemacht: Raus auf die Baustelle, zuhören, verstehen, mit entwickeln. Statt Technik um der Technik willen, stellen wir seitdem die Nutzer:innen in den Mittelpunkt und bauen Software, die wirklich hilft – weil sie aus der Praxis heraus entsteht.

Wie hat sich specter automation seit der Gründung entwickelt?
Wir haben uns von einem kleinen, fast schon naiven Projekt junger Studierender und Berufsanfänger zu einem etablierten Softwareentwickler entwickelt, der heute mit einigen der größten Bauunternehmen in der DACH-Region und weltweit zusammenarbeiten darf. Wenn man bedenkt, wie träge und langfristig die Bauindustrie oft ist – viele Projekte dauern nicht Wochen, sondern Jahre oder gar Jahrzehnte – haben wir uns für Branchenverhältnisse in erstaunlich kurzer Zeit sehr dynamisch weiterentwickelt. Inzwischen sind wir ein 30-köpfiges Team, auf  Baustellen von Neuseeland bis Kanada im Einsatz und haben speziell im deutschsprachigen Raum eine der führenden Marken für Bausoftware etabliert. Gleichzeitig stehen wir noch ganz am Anfang unserer Vision: Wir wollen Baustellen weltweit datengetrieben und künftig auch mithilfe von künstlicher Intelligenz effizienter und vorausschauender abwickeln – und damit ein neues Zeitalter in der Baubranche einläuten. 

Welche Rolle genau spielt Künstliche Intelligenz bei Euch?
Auch wenn bei uns im Team ein Tag ohne KI kaum noch vorstellbar ist – von der  Softwareentwicklung bis ins Marketing nutzen wir täglich die Effizienzvorteile durch KI –, sieht der Alltag auf der Baustelle häufig noch ganz anders aus: analog, fragmentiert und weit weg von Automatisierung. In unserer Software sind erste KI-Anwendungen integriert, etwa ein Chatbot, der Datenabfragen über das 3D-Modell ermöglicht und visuell darstellt. Dennoch stehen wir – wie die gesamte Branche – noch ganz am Anfang. Was uns dabei optimistisch stimmt: Mit specter erfassen wir seit Tag 1 strukturierte Prozessdaten direkt von der Baustelle und konnten so eine der detailliertesten Datenbanken über reale Bauabläufe aufbauen. Diese Daten werden in Zukunft die Basis dafür sein, um intelligente Vorschläge zur optimalen Durchführung von  Bauprojekten machen zu können – als digitale Assistenz, nicht als Ersatz, für die  Bauleitung vor Ort. 

Was war zuletzt das Highlight bei Euch?
Neben unserer kürzlich abgeschlossenen Finanzierungsrunde – die unser Kundenfeedback und die Fortschritte unseres Unternehmens auch quantitativ  bestätigt – sind wir besonders stolz darauf, bereits einige der innovativsten internationalen Baufirmen von uns überzeugt zu haben. So dürfen wir aktuell eines der größten Neubauprojekte in Dubai softwareseitig begleiten und unterstützen den Bau einer Schule in Neuseeland. Wir waren von Tag eins an überzeugt, ein  globales Problem zu lösen – aber zu sehen, wie unsere Lösung heute weltweit auf  Baustellen eingesetzt wird, ist ein absolut überwältigendes Gefühl. 

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig  schief gegangen?
Wie bei vielen Startups wollten wir anfangs zu viel auf einmal. Wir haben versucht, zahlreiche Anwendungsfälle gleichzeitig zu bedienen – und dabei die enorme  Komplexität unterschätzt, die jede einzelne Baustelle mit sich bringt. Das hat uns in der Produktentwicklung viel Zeit und auch einige Nerven gekostet. Erst als wir begonnen haben, unseren Fokus konsequent zu schärfen, wurde der Weg klarer – und der Fortschritt spürbar. Eine der wichtigsten Lektionen: Man muss lernen, auch  mal Nein zu sagen. Nicht jedes individuelle Problem lässt sich isoliert lösen – man muss es im größeren Kontext der Branche betrachten und sich mit klaren Hypothesen durch den Dschungel an Möglichkeiten bewegen. 

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Definitiv bei der Teamzusammenstellung und unserer Kultur. Von Anfang an haben wir großen Wert darauf gelegt, nicht nur fachlich starke, sondern vor allem  menschlich passende Kolleg:innen zu finden – Menschen mit Eigeninitiative,  Offenheit und dem Willen, wirklich etwas zu bewegen. Heute haben wir ein Team, das sich gegenseitig unterstützt, herausfordert und mitzieht. Das ist für mich als  Gründer unser größtes Kapital. Besonders stolz macht es mich, dass wir inzwischen regelmäßig dreijährige Jubiläen feiern dürfen – und bald sogar das erste vierjährige. Viele unserer Mitarbeitenden begleiten uns seit Tag 1 und sind heute tragende Säulen unserer Unternehmenskultur. 

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Fokus, Fokus, Fokus. Es wird immer 1.000 Möglichkeiten geben – neue Features, neue Zielgruppen, neue Ideen. Aber am Ende gewinnt man, wenn man es schafft,  sich auf das eine große Problem zu konzentrieren und dafür die beste Lösung zu  bauen. Alles andere ist Ablenkung. 

Wo steht specter automation in einem Jahr?
In einem Jahr wollen wir specter als Standardlösung für modellbasiertes Bauen im DACH-Raum etabliert haben – und gleichzeitig unsere internationalen Projekte weiter ausbauen. Unser Ziel ist es, auf Baustellen weltweit für mehr Übersicht, weniger Stress und bessere Zusammenarbeit zu sorgen. Und mit dem aktuellen Team und Drive bin ich überzeugt, dass wir genau da hinkommen.

Durchstarten in Köln – #Koelnbusiness

In unserem Themenschwerpunkt Köln beleuchten wir das dynamische Startup-Ökosystem der Rheinmetropole. Wie sind die Bedingungen für Gründer:innen, welche Investitionen fließen in innovative Ideen und welche Startups setzen neue Impulse? Rund 800 Startups haben Köln bereits als ihren Standort gewählt – unterstützt von einer lebendigen Gründerszene, einer starken Investor:innen-Landschaft sowie zahlreichen Coworking-Spaces, Messen und Netzwerkevents. Als zentrale Anlaufstelle für die Startup- und Innovationsszene stärkt die KölnBusiness Wirtschaftsförderung die Rahmenbedingungen für Gründer:innen, vernetzt sie mit Investor:innen und bietet gezielte Unterstützung. Diese Rubrik wird unterstützt von KölnBusiness. #Koelnbusiness auf LinkedInFacebook und Instagram.

KoelnBusiness

Foto (oben): specter automation

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.

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